Vogelbeerbaum - der reich gedeckte Tisch

15.10.2025

Besonders gross ist er nicht, der Vogelbeerbaum, aber im Herbst hat er seinen grossen Auftritt. Da leuchten die roten Beeren aus dem noch grünen Laub.
Ihre mangelnde Grösse macht er durch Zähigkeit wett. Dank weit- und tiefreichendem Wurzelsystem ist er standfest und übersteht Stürme. Auch Frost kann ihrmnichts anhaben, nicht einmal Spätfröste. Sein Laub zersetzt sich schnell und setzt dabei viel Magnesium frei. Das begünstigt die Humusbildung und verbessert die Nährstoffversorgung des Baums. Er düngt sich also selbst und kann daher Umweltbelastungen besser standhalten als andere Bäume
Besonders raffiniert ist das Chlorophyll unter der glatten Rinde der Zweige. Damit kann der Baum bereits vor dem Laubaustrieb Photosynthese betreiben. Das hilft ihm, wenn er in höheren Lagen wächst, wo die Vegetationszeit kurz ist.

Fortpflanzung
Der Baum fährt eine doppelte Strategie: Sowohl vegetative Vermehrung als auch sexuelle Vermehrung.  Wurzelbrut und Stockausschläge machen ihn zu einer beliebten Pflanze für die Bodenbefestigung.
Bestäubt werden die fünfzähligen und duftenden Blüten durch Fliegen und Käfer, aber auch Bienen. Blütezeit ist von Mai bis Juni, die Früchte reifen von August bis September und bleiben bis weit in den Winter hinein hängen. 
Beim Vogelbeerbaum reifen die Narben, also die weiblichen Organe, vor den Staubbeuteln. Das fördert die Fremdbestäubung und damit die genetische Vielfalt, was wiederum die Resistenz der Art stärkt.

Bewohner und Nutzniesser 
Die Früchte («Beeren») werden nach dem ersten Frost von Eichhörnchen gesammelt und zum Teil versteckt. Besonders wichtig für die Ausbreitung sind die Vögel. Sie fressen die Früchte, die Samen werden durch den Kot unbeschädigt wieder ausgeschieden und so im Flug verbreitet. Das Fruchtfleisch enthält keimhemmende Stoffe, die Samen können also erst nach dem Verdautwerden keimen.
Kleinschmetterlingen und ihren Raupen sowie Rüsselkäfern dient der Baum als Futterpflanze, Sing- und Misteldrosseln, Rotkehlchen, Mönchsgrasmücken, Kleiber, Gimpel schnabulieren die Früchte und nutzen den Baum zum Nisten ebenso wie der Grünspecht. Sogar Fuchs und Dachs verschmähen die Früchte nicht.
Eichelhäher, Siebenschläfer, Halselmaus und Mäuse legen sich im Boden versteckt Wintervorräte an. Werden sie vergessen, profitiert der Baum.
Reh und Rothirsch fressen die Blätter , Triebe und Knospen ab.

Unterschiede Vogelbeerbaum und Speierling (Sorbus domestica)
Die Winterknospen der Vogelbeere sind meist dunkelviolett gefärbt und weißfilzig behaart. Dies stellt ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zum Speierling dar, dessen grüne und klebrige Knospen allenfalls an den Schuppenrändern eine feine Behaarung entwickeln. Die Endknospe an den Zweigspitzen ist gewöhnlich gekrümmt.
Die Unterseite der Blätter sind beim Vogelbeerbaum nur ganz jung behaart, bei Speierling bleibt die Behaarung. 
Beim Vogelbeerbaum trägt die Schirmrispe über 200 Blüten, beim Speierling sind es nur 20-60.
Die Früchte sind beim Vogelbeerbaum leuchtend rot und kugelig, beim Speierling gelb bis rot und birnenförmig.

Heilwirkung und medizinische Nutzung
Sänger und Redner nutzen die Vogelbeeren z. B. auch, um ihre Stimmbänder geschmeidig zu halten. Laut „Kräuterpfarrer“ Johann Künzle sollen Vogelbeeren zähen Schleim von den Stimmbändern lösen und so bei Heiserkeit wertvolle Dienste leisten. In der evidenzbasierten Medizin wird ein Auszug aus Sorbus aucuparia, das Sorbit, intravenös zur Senkung des Augeninnendrucks bei Glaukom gespritzt.

Essbarkeit und Verwendung in der Küche
Auch wenn sich im Volksglauben hartnäckig das Gerücht hält, die Früchte seien giftig, ist dies nicht richtig. Allerdings enthalten die Beeren Parasorbinsäure, die zu Magenproblemen führen kann. Durch Kochen wird die Parasorbinsäure zu Sorbinsäure abgebaut, die gut verträglich ist. Gekochte Beeren können daher auch in größeren Mengen gegessen werden. Tatsächlich sind Vogelbeeren aufgrund ihres hohen Vitamin-C-Gehalts (bis zu 100 mg pro 100 g Beeren, das beim Kochen um etwa ein Drittel abgebaut wird) sehr gesund und waren früher ein wichtiges Mittel gegen Skorbut.
Am besten erntet man die Früchte nach dem ersten Frost, durch überfrieren werden die Apfelfrüchte milder.
Sie können in Spirituosen eingelegt als Aromageber dienen oder als Beigabe in Marmeladen genutzt werden. Reine Vogelbeermarmelade ist wohl für die meisten Geschmäcker zu bitter. 

Kulturelles zu diesem Baum
Der Baum war in der germanischen Tradition ein heiliger Baum und dem Donner- und Fruchtbarkeitsgott Thor gewidmet. Als er einmal in einen Fluss fiel, zog er sich an einem Ast eines Vogelbeerbaums aus dem Wasser.
In Schweden schmücken die Hirten um den Himmelfahrtstag herum das Vieh mit Blumen – wie bei uns zum Alpabtrieb – und treibt es bereits um die Mittagszeit nach Hause. Der Hirte selbst führt die Herde mit einem geschmückten Vogelbeerbaum in den Stall. Dort wird das Bäumchen am Giebel befestigt und soll während der Weidezeit die Tiere vor bösen Geistern und Krankheit bewahren. Bei dieser Gelegenheit erhält das Jungvieh seinen Namen. Wenn der Name verkündet wird, bekommt das Tier drei Schläge auf den Rücken mit einer Rute des Vogelbeerbaums.

Name
Die Eberesche ist ja eben keine Esche, hat aber Blätter, die denjenigen der Esche ähneln. Die Beeren wurden früher für die Ebermast verwendet. Daher: Eber-Esche.
Der wissenschaftliche Name bezieht sich auf die Vögel (avis = Vogel) und das Fangen (capere = fangen). Das kommt daher, dass Vogelbeeren häufig als Köder zum Vogelfang verwendet wurden. Auch das Wort Vogelbeere bezieht sich auf die Funktion als Köder für Vögel.

Text und Bild: Ruth Macauley