Loiseleuria procumbens: Eine Pflanze mit einem unmöglichen Namen! Ja, wenn wir den wissenschaftlichen Namen betrachten. Procumbens ist einfach, das heisst niederliegend und das ist sie, die Alpenazalee. Aber Loiseleuria? Weil es eben ein wissenschaftlicher Name ist? Oder doch «Loaslöria» wegen dem französischen Botaniker Jean-Lous-Auguste Loiseleur-Deslongschamps? Oder bleiben wir bei den deutschen Namen für die hübsche Pflanze? Welchen? Alpenazalee, Gamsheide, Felsenröschen? Einfach ist es mit dem Namen also nicht!
Wer sie sehen will, muss hoch hinaus. Ab etwa 1500 bis gegen 3000 m über Meer findet man ihre Teppiche meist an exponierten Graten und Windkanten, die im Winter oft schneefrei sind. Wer hier überleben und wachsen will, muss hart sein im Nehmen. Und das ist unsere Alpenazalee! Sie gehört zusammen mit Heidelbeere, Besenheide, Alpenrose und anderen in die Familie der Erikagewächse.
Bestäubung (meist durch Hummeln) und Ausbreitung
Kaum ist der letzte Schnee weg, öffnen sich die zartrosa Blütensterne, die bereits im Vorjahr angelegt wurden. Ein oranger Ring um den Fruchtknoten bietet reichlich Nektar an. Die Blüten sind vorweiblich, das heisst die Narbe ist bereit, bestäubt zu werden, während die Staubblätter noch unreif sind. So wird eine Fremdbestäubung garantiert. Dies ist in den Bergen aber nicht immer möglich, deshalb ist auch Selbstbestäubung in älteren Blüten möglich. Man muss sich zu helfen wissen!
Die reifen Fruchtkapseln bleiben den ganzen Winter über stehen, bevor sie die Samen freigeben. Die Samen der Alpenazalee sind winzig. Gerade mal 0,0000134 Gramm bringen sie auf die Waage. Aus diesem Nichts entwickeln sich die jungen Alpenazaleen und behaupten sich gegen die Kälte. Sogar wenn sie bei Minustemperaturen völlig durchgefroren sind, können sie weiterwachsen, sobald Tauwetter ist. Das muss ihnen zuerst einmal eine andere Pflanze nachmachen!
Überlebensstrategien
Dort, wo Sturm und Wind heulen und im Winter den Schnee wegblasen, dort trotzt die Alpenazalee den Widrigkeiten. Sie ist hervorragend an diesen Lebensraum angepasst.
Windschutz: Ein dichter, niedriger Wuchs bietet den Winden wenig Angriffsfläche. Darunter hütet sie so viel Humus und Feuchtigkeit wie möglich und bietet gleichzeitig Schutz für Flechten und Moose. Die niedrige Wuchsform minimiert das Abrasiertwerden durch die scharfen Schneekristalle. So kann sie Windstärken bis etwa 150 km/h überstehen. Im Innern des Sträuchleins bleibt es nämlich fast windstill!
Kampf der Trockenheit: Sie hat tiefreichende Wurzeln. Ihre Blätter sind dick, immergrün, klein und umgerollt. So geht wenig Wasser verloren. Die Spaltöffnungen auf der Blattunterseite sind gut geschützt unter dem umgerollten Blatt, zudem schützt sie ein feines Pelzchen. Zusätzlich haben die Blattunterseiten zwei behaarte Längsrillen, die in eine Spitze auslaufen. Sie fangen Tau und Schmelzwasser auf, das über die Blätter aufgenommen werden kann.
Sonnenschutz: Unter der Schneedecke bleiben die Blätter immer grün. Ragen sie aber über den Schnee hinaus, verfärben sie sich dunkelrot. Die Farbe ist ihre Sonnencrème gegen das starke UV-Licht.
Kälteschutz: Alpenazaleen ertragen Frost bis minus 40° und Hitze bis 50°. Zuckermoleküle in den Zellen verhindern das Gefrieren (wie Salz auf den Strassen). Auch bei Minustemperaturen kann sie Fotosynthese betreiben und Energie tanken. Damit ist sie rekordverdächtig.
Winternahrung
Die fetthaltigen Blätter dienen ihr als Energiereserve und sind Winternahrung für Gämse, Steinbock, Schneehuhn und Schneehase, da sie oft freiliegen oder nur unter einer dünnen Schneedecke liegen. Für Menschen ist die Alpenazalee giftig.
Pflanzengeschichte
Fossilienfunde lassen den Schluss zu, dass die Alpenazalee vermutlich aus ihrer ursprünglichen Heimat erst in der letzten Eiszeit über Grönland und Schottland in die Alpen eingewandert ist. Über die Arktis konnte sie sich bis nach Ostasien ausbreiten.
Text und Bild: Ruth Macauley